Bei der Anreise im Hotel…

…prasseln in der Regel unfassbar viele Informationen auf Sie als Gast ein: Nachdem Sie den Meldeschein ausgefüllt haben erhalten Sie eine verbale Wegbeschreibung zu Ihrem Zimmer, erfahren die wichtigsten Öffnungszeiten (Frühstück, Bar, Restaurant, Therme etc.), bekommen einen Stadtplan, werden über die Möglichkeiten informiert, die Ihnen der Concierge bietet und haben am Ende von all dem vielleicht nur die Hälfte mitbekommen, weil Sie eigentlich schon am Beginn des Monologs eine Frage stellen wollten (beispielsweise: „Wie komme ich heute Abend zum König der Löwen?“) und nur auf eine Atempause der Empfangsmitarbeiterin gewartet haben.

Bei einer solchen Informationsflut geht oft das ein oder andere Detail verloren. Leider ist dies oftmals ein wichtiges Detail, das Ihrer persönlichen Sicherheit dient. In dem Moment, da die Rezeptionistin Ihnen unseren Zimmerausweis übergibt, fällt in der Regel nämlich folgender Satz: „Dies ist Ihre Zimmerkarte. Sie beinhaltet einen Freifahrschein für den öffentlichen Nahverkehr, der drei Tage gültig ist…“

Meistens ist dies der Moment, in dem man abschaltet und sich einfach über die Fahrkarte freut. Vielleicht überlegt man sich bereits, wohin man damit fahren möchte: Nach St. Pauli? Blankenese? Oder vielleicht doch lieber nach Winterhude? Aber Moment mal – war da noch was? Die Empfangsmitarbeiterin spricht ja immer noch. Die Kollegin, die inzwischen bei der Wegbeschreibung zum Zimmer angekommen sein dürfte, hatte in den Sekunden der mentalen Abwesenheit noch ein paar Fakten für Sie, die aber bestimmt nicht so wichtig gewesen sein dürften, oder?

Nun ja, wichtig waren sie schon. Wenn unser Nachtportier die heimkehrenden Gäste, die ihre Schlüssel abholen wollen, nach Ihrem Zimmerausweis fragt, bekommt er in etwa 90 Prozent der Fälle eine der folgenden Antworten: „Zimmerausweis? So was haben wir nie bekommen. Wir haben nur ein HVV-Ticket erhalten.“ oder aber „Die Karte? Haben wir im Zimmer gelassen. Hat uns auch keiner gesagt, dass wir die brauchen. Wir sind Taxi gefahren.“. Dies wird dann gerne mit dem Zusatz versehen, er möge doch einfach in den Computer sehen und den Namen vergleichen, wenn er dem Gast nicht glaube.

Jetzt kommt die entscheidende Frage: Warum betreiben wir einen solchen Aufwand? Aus welchem Grund werden Karten produziert und verteilt, auf denen Name und Zimmernummer nebst Abreisedatum eingetragen werden? Man könnte doch tatsächlich jedem Gast einfach den gewünschten Schlüssel herausgeben, wenn er uns die Nummer nennt. Oder?

Aus Gründen der Sicherheit muss diese Frage mit einem entschiedenen „nein“ beantwortet werden. Es kommt tatsächlich vor, dass jemand durch unsere Drehtür marschiert und – besonders nachts – einen Schlüssel verlangt, der ihm nicht gehört. Ohne die entsprechende Zimmerkarte wird er diesen aber niemals erhalten. Es nützt ihm auch nichts, wenn er sich in unsere Bar setzt und so lange wartet, bis er in einem Gespräch Namen und Zimmernummer aufschnappt und mit beiden Informationen gemeinsam an die Rezeption geht. Kein Zimmerausweis – kein Schlüssel.

Dies gilt übrigens auch für den Fall, dass dieser Mensch verzehrte Speisen im Restaurant oder Drinks in der Flaggenbar auf die Zimmernummer eines anderen Gastes buchen lassen möchte. Auch hier heißt es dann: „Die Zimmerkarte, bitte.“

Was aber passiert, wenn ein Gast die Karte tatsächlich verliert und jemand anderes sie findet? Derjenige kann dann doch jederzeit den Schlüssel holen und das Zimmer leerräumen.

Im Normalfall klappt auch das nicht. Sobald der Gast uns mitteilt, dass die Karte verloren gegangen ist, erhält er kostenlos einen neuen, mit einer speziellen Markierung versehenen Ausweis. Ab sofort wird dann der Schlüssel auch nur gegen diesen herausgegeben. Auch „alte“ Zimmerkarten, die ein früherer Gast vielleicht bei Abreise achtlos weggeworfen hat, können vom Finder nicht einfach später benutzt werden, weil ja das Abreisedatum darauf vermerkt ist.

Sicherlich mag es manchmal etwas lästig sein, nach einem langen, ausgelassenen Abend im Theater oder einem schicken Restaurant auf dem Weg ins Hotelzimmer noch einmal die Karte aus der Tasche kramen zu müssen. Unser Nachtdienst musste sich diesbezüglich bereits wilde Beschimpfungen anhören („Halten Sie mich etwa für einen Betrüger?“ oder „Die Kollegin am Nachmittag wollte die Ausweise aber nicht sehen.“). Trotzdem wird er unsere Gäste auch weiterhin darum bitten, die Karten vorzuzeigen – zu ihrer eigenen Sicherheit.

Nebenbei bemerkt: Es kann durchaus sein, dass Sie tagsüber nicht nach der Karte gefragt werden. Das liegt allerdings nicht daran, dass es den Kolleginnen und Kollegen manchmal doch egal ist, was aus den Sachen in Ihrem Zimmer wird, sondern vielmehr daran, dass sie Sie tatsächlich wiedererkennen. Auch unser Nachtportier wird in der zweiten Nacht wahrscheinlich nicht erneut fragen – es sein denn, er hat Ihre Zimmernummer nicht mehr im Kopf.

Ich schreibe diesen Blog übrigens nachts. Da ist es relativ ruhig und man kann sich besser auf den Text konzentrieren. In der Zeit, die ich bis hierher gebraucht habe, sind genau sieben Gäste ins Hotel zurückgekommen. Lediglich zwei davon hatten ihre Zimmerausweise dabei und hielten sie bereitwillig über den Tresen. Es scheint also tatsächlich recht sinnvoll, dies einmal aufzuschreiben.

Thorsten Sobiech

Chef-Concierge